Nachdem wir bereits in den ersten beiden Teilen auf die gute Vorbereitung einer Trennungssituation und auf die missglückte Trennung geschaut haben, weiten wir in diesem Teil unseren Blick noch etwas aus. Wir schauen kurz auf mögliche Begleiterscheinungen, die uns in der Eingewöhnung begegnen können.

Für gewöhnlich sind mehrere Kinder gleichzeitig in der Eingewöhnung. Auch bekommen die anwesenden Eltern einiges vom Tagesgeschehen mit. Dabei kann es vorkommen, dass Szenen miterlebt werden, die aufwühlen und Fragen aufwerfen. Gerade wenn du bei deinem Kind einen anderen Weg gehst und auf einen liebevollen, bedürfnisorientierten Umgang miteinander großen Wert legst. Was also tun, wenn du Zeuge von etwas wirst, dass dir das Herz bluten lässt – bei deinem Kind und auch bei anderen Kindern?

Wenn es dein Kind ist
Seid ihr persönlich betroffen und du merkst in der Situation selbst oder auch später in Ruhe, dass sich das nicht richtig anfühlt und du dich schlecht fühlst, sprich bitte das Erlebte an. Kläre über deine Gefühle auf und finde Alternativen sowie Kompromisse. Unsere Kinder brauchen uns. Wir wahren ihre seelischen und körperlichen Grenzen, wir sprechen für sie, solange sie es nicht selbst können. Wir sind für sie da. Wenn wir uns aktiv für sie einsetzen, ist es das größte Geschenk, was wir ihnen machen können. 

Wir zeigen ihnen, dass sie wichtig sind, dass sie richtig sind, dass sie es wert sind. Solange wir in der Eingewöhnung sind, sind wir nah dran am Geschehen. Sobald wir unserem Tagesgeschäft nachgehen und keinen wirklichen Einblick mehr haben, wird es deutlicher schwieriger, klar und deutlich zu kommunizieren, was wir uns für unser Kind wünschen und wo wir eine Grenze ziehen. Nutzen wir also die Gelegenheit.

Im Grunde wünsche ich mir, dass dies für alle Kinder gilt, auch wenn es nicht die eigenen sind. Denn alle Kinder sind wichtig, doch wir sind nicht alle Eltern. Was also tun?
Perspektivwechsel hilft
Hier hilft ebenfalls der Perspektivwechsel. Der hilft im Grunde immer. Bei den immer noch täglichen zum Teil tränenreichen Abgaben an der Gruppentür oder während der Eingewöhnung ganz am Anfang des Prozesses. Eltern, die wenig Zeit haben, wo der Arbeitsdruck von Tag zu Tag steigt, wissen sich mitunter nicht zu helfen und sehen vielleicht auch keine Alternativen zum üblichen Vorgehen, Kinder schnell durch die Trennung zu schicken. 

Am besten so schnell wie möglich, damit der Schmerz nicht allzu lange erlebt wird – für beide Seiten. Auch Fachkräfte kommen oftmals an ihre Grenzen angesichts der Personalsituation, den Vorstellungen und Wünschen der Eltern und können gegebenenfalls selbst in die Überforderung geraten. Letztlich ist das schon so „normal“, dass es kaum mehr auffällt.

Wie bereits im ersten Teil erwähnt, wollen und müssen Gefühle gelebt werden, allein schon rein von den biochemischen Vorgängen im Körper. Ablenkung und ein kurzer Prozess bewirken eher das Gegenteil, denn dabei wird das Kind in seinem Bedürfnis nach Sicherheit, Schutz und Nähe nicht beachtet. Der Stress und die Angst können bestehen bleiben, auch für Eltern. Denn so bleibt die Sorge, ob es ihrem Kind wirklich gut geht und welches Gewitter womöglich am Nachmittag aufzieht, welche innere Anspannung es denn tagsüber mit sich rumgetragen hat.

Gleichwohl sind Eltern wie auch Fachkräfte auf unterschiedlichen Wegen unterwegs. Jeder verfügt über ein anderes Wissen. Wissen, um die eigene Biografie sowie den daraus resultierenden Glaubenssätzen, Mustern und Prägungen. Wissen über Bindung, gewaltfreie Kindheit und Kommunikation. Und auch mit dem entsprechenden Wissen lässt sich nicht alles so umsetzen, wie wir es uns wünschen oder Kinder für eine bestmögliche Entwicklung benötigen. Letztlich sind gerade unsere impliziten, unbewussten Einstellungen recht schwer zu erkennen und demzufolge auch zu verändern. Nicht jeder kann und möchte diesen beschwerlichen Weg gehen. 

Eine mögliche Alternative
Was nun tun, wenn dein Herz nach einer aufwühlenden Beobachtung schwer ist? Hier kommen viele Gedanken und Fragen zusammen:
  • Wird es später mal mein Kind treffen? 
  • Schadet es meinem Kind, der Eingewöhnung und – darüber hinaus – der Beziehung zur Fachkraft, wenn ich Beobachtungen aktiv anspreche? 
  • Schadet es mir, meiner Zuversicht, meinem Vertrauen in die Institution, wenn ich es für mich behalte? 
  • Stoße ich auf Offenheit oder Abwehr? 
  • Ist das das übliche Vorgehen oder war es eine Momentaufnahme? 
  • Spiegelte sich in der Situation eine innere Haltung Kindern gegenüber oder war sie dem Stress geschuldet? 
  • Habe ich die Ressourcen und Kraft, das Erlebte überhaupt zur Sprache zu bringen, mit eventuellen Konsequenzen?
Es ist gar nicht so leicht, genau abzuwägen, was an dieser Stelle das Richtige ist. Das darf und muss jeder abhängig von seinem Wertesystem entscheiden. Wenn wir uns bewusst machen, was unsere Angst ist, etwa die Abhängigkeit von der Betreuung oder dass es auch beim nächsten Mal mein Kind treffen könnte, können wir ehrlich ins Gespräch gehen. Gleichzeitig lässt sich auf dieser Basis gut nach den Beweggründen der Fachkraft für das beobachtete Verhalten fragen. Verständnis zu zeigen, wertschätzend zu kommunizieren und andere dort abzuholen, wo sie gerade stehen, ist dabei der klassische Königsweg. 

Was wünschst du dir für dein Kind, wenn es in eine ähnliche Situation kommt? Was wünschst du dir für dich, wenn du voller Trauer und Schmerz bei einer Trennung oder in einem traurigen Moment bist? Gehalten werden von deinem Lieblingsmenschen, bis alle Tränen geweint sind und die Ruhe zurückkehrt oder schnell weggeschickt werden, allein damit klarkommen müssen? Es gibt unzählige Optionen schwierige Momente, Übergänge, Veränderungen und akuten Stress zu gestalten. Da dürfen gerne kreative und flexible Lösungen gefunden und vorgelebt werden.

Eine Alternative ist immer, es anders zu machen. Und zwar so, wie es sich für dich und dein Kind richtig anfühlt. Wenn wir vorleben, dass es O. K. ist, sein Kind eben zehn Minuten länger im Arm zu halten, während es sich ausweint, können wir andere vielleicht inspirieren. Gemeinsam noch einen Tanz aufführen, kann Stress abbauen, eine Geschichte vorlesen, noch einmal um den Block rennen, zusammen ein Lied singen, entschleunigen … Alles, was Verbindung und Entspannung schafft, ist gut. Planen wir mehr Zeit für Unvorhergesehenes ein, kann das sehr entspannen und Raum für kreative Lösungen schaffen. Und mal ehrlich, das ist ja eher der Normalfall, dass es mal wieder anders läuft. Wir sind in der Verantwortung, unseren Alltag und die Umgebung so zu gestalten, dass nicht unser Kind den Schmerz zu spüren bekommt.

Ins Gespräch gehen
Auch offen das Gespräch zu suchen, kann eine Alternative sein. Im Gespräch mit betroffenen Eltern, der Fachkraft, der Gruppenleitung oder der Kita-Leitung und dem Elternbeirat. Gerade bei offensichtlich grenzüberschreitenden Situationen, die auch bei allem Stress und Druck nicht auf den Schultern von Kindern ausgetragen werden dürfen, sollte zum Schutz aller zeitnah eine offene An- und Aussprache erfolgen. Mit der konkreten, bewertungsfreien Beobachtung und der Bitte, diese in einem günstigen Moment mitteilen zu können. 

Im besten Fall gibt es in der Institution ein entsprechendes Mitteilungssystem, das Kinder und auch Eltern schützt. Wichtig ist, bei sich und seinen Gedanken respektive Gefühlen sowie konkret bei der Beobachtung zu bleiben – neutral, ohne eigene Interpretation und Wertung. Wie hat sich die Beobachtung angefühlt? Was ist da mit mir passiert? Welcher meiner Werte wurde verletzt? Was hätte ich gerne getan? Wem das schwerfällt, kann erste Sätze dazu vorformulieren. 

  • Darf ich eine Beobachtung mit Ihnen teilen?
  • Ich habe da etwas mitbekommen, das mich aufgewühlt hat und ich gerne mit Ihnen besprechen möchte.
  • Gestern/am Donnerstag habe ich etwas gehört/gesehen, dass mich irritiert hat und ich gerne auflösen möchte. Wann hätten Sie Zeit dafür?
  • Ich würde es aufrichtig schätzen, wenn ich die Möglichkeit hätte, mit Ihnen eine Beobachtung zu besprechen und Ihre Sichtweise dazu erfahren könnte. Haben Sie kurz Zeit dafür? 
  • Haben Sie vielleicht gerade die Zeit und Ressourcen, um mit mir etwas zu besprechen? Ich habe etwas mitbekommen, mit dem ich mich nicht wohlfühle/das mir Bauchschmerzen macht.
  • Mir ist wichtig, dass mein Kind und ich uns hier wohlfühlen. Können wir etwas besprechen, das ich nicht so recht einordnen kann? Mir ist Ihre Sichtweise dabei wichtig.
Ich wünsche mir für meine Kinder, dass sie in einer Welt aufwachsen, in der auf Unrecht aufmerksam gemacht werden darf, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. In der bei gewaltvollen Szenen, verbal und nonverbal, im geschützten Raum wie auch auf offener Straße nicht mehr tatenlos beigewohnt wird. In der ihre Stimme gehört wird und ihre Bedürfnisse ge- und beachtet werden. Dazu brauchen sie uns als Vorbild. Sie benötigen unsere Stimme. Schauen wir weg oder schauen wir hin? Wollen wir, dass jemand hinschaut, wenn es mal uns oder unsere Kinder betrifft? Dann dürfen wir gerne den ersten Schritt machen. 

Mir ist bewusst, dass dies viel Mut und Kraft erfordert. Vor allem dann, wenn du vielleicht allein mit deiner Meinung bist, Angst hast, das Vertrauen in Institution zu verlieren, Sorge um den Betreuungsplatz hast, nicht in einem schwelenden Konflikt landen möchtest. Es ist eine schwierige Gratwanderung. Die Antwort und Lösung gibt es nicht und hängt stark von deinen Ressourcen und Möglichkeiten ab.

Dennoch sollte das gemeinsame Ziel im Vordergrund stehen: Gesunde, glückliche Kinder, die voller Vertrauen und Zuversicht den Kitaalltag gemeinsam mit den Fachkräften wuppen. Eine Grundlage für entspannte Eltern. Auch hierfür gibt es Fachkräfte, die mit ihrem Wissen und ihrer Expertise unterstützen können. Jenni Klein bietet etwa Mediation und Beratung gerade in Konfliktsituationen an. Auch Lea Wedewardt hat in ihrem Kita-Podcast genau dieses Thema aufgegriffen und eine vierteilige Serie rausgebracht (Folgen 15–18), die ich jedem Elternteil ans Herz legen möchte. Sie geht auf das Dilemma Hin- oder Wegsehen ein, wie sich Gewalt im Kitaalltag ausdrücken kann und wie Gewalt durch pädagogische Fachkräfte angesprochen, besprochen und verhindert werden kann.
Dein Kind stärken
Auch mit unserem Kind sollten wir ins Gespräch gehen und besprechen, wie es vielleicht selbst die Situation wahrgenommen hat und für sich bewertet, wenn es dabei war. Gerade sehr sensible Kinder spüren die Gefühle anderer im Raum und können diese schlecht von ihren eigenen unterscheiden und fühlen deshalb sehr mit. Hier braucht es seitens der Eltern viel Geduld und Liebe, sodass unsere Kinder immer wieder von und mit uns lernen können. 

Welche Werte sind uns wichtig? Wie wollen wir unser Leben gestalten? Wie verhalten wir uns anderen gegenüber? Was können wir tun, wenn wir Unrecht beobachten oder etwas, dass sich nicht gut anfühlt? Sie benötigen unsere Einschätzung darüber, was falsch ist und was gut und richtig ist.

Geben wir unserem Kind Strategien mit, wie es sich schützen oder lernen kann, eine Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrzunehmen oder Unterstützung einzufordern, helfen wir ihm auch in Zukunft in solchen Momenten gut für sich sorgen zu können. Dabei können wir die Fachkräfte gerne mit ins Boot holen. Denn sie werden diejenigen sein, die nach der Eingewöhnung dein Kind durch den Tag begleiten.

  • Erlebt sich das Kind als selbstwirksam oder kann es nur hilflos zuschauen? 
  • Wie kannst du eine entspannte Gesprächsatmosphäre schaffen, bei der sich dein Kind öffnen kann? Oftmals lässt sich dies nicht gezielt planen, sondern sprudelt aus Kindern heraus, wenn sie sich ganz mit uns verbunden und sicher fühlen.
  • Haben die Fachkräfte bereits ein Gefühl dafür, wie sich dein Kind verhält, wenn es Stress und innere Anspannung spürt? 
  • Wissen diese, wie sie ihm helfen können? 
  • Welche Strategien des Stressabbaus nutzt ihr Zuhause?
  • Besteht die Möglichkeit, das Erlebte auch in der Gruppe zu besprechen und dabei die Verhaltensregeln untereinander zu festigen?
Es gibt also auch aus der Perspektive des Kindes mehrere Möglichkeiten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Das erfordert natürlich, für Gespräche solcher Art Raum und Zeit zu haben. Dies sollten wir in den ersten Monaten der außerfamiliären Betreuung einplanen. Allein schon deshalb, um wieder gut auftanken zu können – auch ohne schwierige Gespräche und Gefühle. Ein paar Ideen findest du im zweiten Teil. Dort sind die verschiedene Strategien der achtsamen Kommunikation mit Kindern aufgeführt.

Was wäre, wenn?
Zu guter Letzt noch ein hilfreicher Gedanke. Denn eine bedürfnisorientierte, würdevolle und stärkende Begleitung unserer Kinder kann sich manchmal einsam anfühlen und sehr kräftezehrend sein: „Was wäre, wenn …?“. 

Was wäre, wenn deine Beobachtung auf fruchtbaren Boden fällt und andere zum Nachdenken einlädt? Was wäre, wenn dein Kind auch in der außerfamiliären Betreuung ein respektvolles Miteinander erlebt? Was wäre, wenn die Eltern des betroffenen Kindes dankbar für deine Beobachtung wären? Was wäre, wenn dein Mut ein kleines Lichtlein anzünden könnte, das andere wärmt und erhellt? Was wäre, wenn du und dein Umgang mit deinem Kind andere zur Nachahmung inspiriert? Was wäre, wenn wir einen gleichwertigen Umgang untereinander lebbar machen können?  Was wäre, wenn statt Angst und Anpassung, Freude und Entspannung vorherrschen?

Der gewaltfreie, achtsame und zugewandte Umgang mit Kindern geht uns alle an. Denn sie sind die Zukunft, wir formen durch sie unsere Gesellschaft und prägen damit, wie wir miteinander umgehen. Insbesondere in Konfliktsituationen, die wir durch Klimakrise und Co. noch verstärkt in unserem Alltag wiederfinden werden. Wenn Kinder von Anfang an lernen, dass sie eine Stimme haben, die gehört wird, haben es Missbrauch oder Mobbing deutlich schwieriger in unserer Mitte. Dann werden Kinderrechte Teil unseres Lebens.